"waggy waggy tails"

Ein Hund, zwei Menschen - Südengland 2006

1. Tag

Morgens, fünf Uhr, beim ersten Vogelsang, fahren wir in Bauschheim/Südhessen los und erreichen Calais gegen Mittag, wo wir an Deck der Kanalfähre "Cezanne" den warmen Frühsommertag genießen.

So fängt Urlaub an: an der Reling lehnen, unter einem vom Seewind leergeputzten blauen Himmel, oben kreischen Möwen über dem rauchenden Dampferschornstein, unten kreischen pubertierende deutsche Schüler auf Klassenfahrt. Ihre Lehrerin erklärt unbeirrt dem französischen (!) Kellner, was ein cafe au lait ist, und da blicken wir lieber wieder aufs glitzerblaue Meer.

Am Horizont, an diesem klare Tag wie zum Greifen nah, die Kreidefelsen von Dover. England in Sicht - This precious stone in silver sees - wie Shakespeare seine heimatliche Insel pries. Stimmt genau, aber unserem bedauernswerten Hund ist dieser erhabene Anblick leider verwehrt, weil er unter Deck im WoMo bleiben muß. Dunkler Schiffsbauch, ein Diesellaster nebenan pumpt die ganze Zeit lautstark, entsprechend rast das Hundeherz, als wir nach anderthalb Stunden in Dover endlich wieder zu ihm dürfen. Wir fahren die Küstenstraße lang, kurbeln alle Fenster runter und dem Hund geht es gleich besser. Weil wir links fahren, merkt auch er jetzt, daß wir da sind.

St. Margaret’s at Cliffe (Aussichtspunkt circa 10 min. hinter Dover, direkt auf den Klippen. Übernachtungsplatz für eine Handvoll WoMos.) Spektakuläre Rundumblicke: nach Süden über die Fährroute bis nach Frankreich, nach Osten die steile Kreideküste entlang und im Hinterland bis zum Horizont rollende saftgrüne englische Felder.



Wir spazieren am frühen Nachmittag auf den Clifftopps entlang und akklimatisieren uns. Die Felsen sind tatsächlich bloß aus Kreide, weich, weiß, bröckelig, wir brechen frech ein Stückchen ab und schreiben wie andere Besucher unsere Namen auf ein Mäuerchen in einer Aussichtsnische über der See. Der Hund schaut derweil nicht aufs Meer, sondern auf die Kaninchen, die sich überall im Gras tummeln. Wir nehmen eine Picknickdecke, legen uns auf den Boden und wundern uns, daß es Leute geben soll, die wirklich hier oben wohnen, mitten auf den Klippen, in weißen Häusern in verwunschen Gärten mit dicken Hecken, üppigen Rosenbüschen und hohen, nickenden Palmen. Wir beschließen, bei Gelegenheit hier auch eine Villa zu erwerben.

Abend: der Wind legt sich, der Himmel über dem Kanal puderrosa, das Meer sanft und tiefdunkelblau, die Luft, die über die Rapsfelder streicht, süß. Aus den Feldern: Insektengeräusche, eine bizarre Vogelstimme

Vor dem Einschlafen sehen wir vom WoMofenster aus das nächtliche Glitzern und Funkeln der Küstenlichter und hin und wieder, voll und warm, glüht unten in der Bucht eine große Signalflamme. Vogelgeräusche die ganze Nacht.




2. Tag

Am Morgen geht die Sonne über dem Kanal auf, die englische Flagge auf dem Clifftop trödelt im leichten Wind. So friedlich ist England aber nicht überall: wir fahren ins nahegelegene Städtchen Canterbury, Grafschaft Kent, Schauplatz eines ganz abscheulichen Mordes und seit dem frühen 7. Jh. Zentrum der englischen Kirche.

Beides findet in der großartigen Kathedrale seinen Ausdruck: seit in diesem Gotteshaus am 29. Dezember 1170 der Erzbischof Thomas Becket im Auftrag König Heinrichs II von vier schwerbewaffneten Rittern zum Märtyrer gemacht und anschließend dort beigesetzt wurde, ist Canterbury Anlaufstelle für christliche Pilger. Um die zu verköstigen, waren viele Gasthäuser, „Inns“, notwendig, die erfreulicher Weise auch heute noch in Betrieb sind. Wie es zuging unter Reisenden im Mittelalter, das berichtet Geoffrey Chaucer in den berühmten Canterbury Tales.

Wir besichtigen die wuchtige Kathedrale nacheinander, weil der Hund natürlich nicht reindarf (wie war das im Mittelalter?) und kommen zu dem Schluß, daß in heutiger Zeit ein Mord dort nicht mehr ohne weiteres praktikabel ist, da der Eintritt pro Ritter umgerechnet 9 Euro beträgt. Wir fragen Engländer, wie sie es machen, wenn sie mal schnell beten wollen, treffen aber nur auf Atheisten. In der Kathedrale kann es dem Tourist passieren, daß er für zehn Minuten in einer Seitenkapelle eingesperrt wird, weil dort eine spontane Andacht für gefallene Soldaten beginnt. Wir erinnern uns: England ist im Krieg! Ein dicker Offizier mit glänzenden Lackschuhen und Rohrstöckchen unter dem Arm knallt die Haxen zusammen, macht ein ernstes Gesicht, salutiert, eine Glocke wird geschlagen und ein Geistlicher hält eine kleine Ansprache; dann dürfen wir und die anderen Japaner wieder raus.

Die Grafschaft Kent, durch die wir nun fahren, gilt als der Garten Englands, zu Recht: Obstbäume, Felder, kleine romantische Weiler, schiefe Kirchtürme, mit Hecken gesäumte schmale Landstraßen, alte Bäume, Grün, Grün, Grün. Und immer wieder dazwischen die charakteristischen Zipfelmützen der alten Hopfendarren – heute meist umgebaut zu exklusiven Domizilen für solche, die sich das leisten können. Wir wollen noch mehr Grün und deshalb Sissinghurst Garden besichtigen, Schloß und Anlagen, eingerichtet in den 30er Jahren von der exzentrischen Schriftstellerin Vita Sackville-West und ihrem Mann, Sir Harald Nicholson. Leider ist heute zu. Wir spazieren bei bestem Wetter drumherum, und bald stellt sich heraus, daß das auch schön ist.

Nächste Station, das Städtchen Rye. Das liegt in malerischen Terrassen auf einem Hügel und ist von steilen, kopfsteingepflasterten Gässchen durchzogen. Fast an der höchsten Stelle dieses Hügels „Lamb House“ , das Haus des Schriftstellers Henry James (der Thomas Mann der Briten, eigentlich aber ein Amerikaner). - Today open! -

Die Schriftsteller unter uns sind nun auch zufrieden und rupfen im Garten des „Meisters“ unbemerkt eine rote Knospe von einem Busch. Was aus tierischer Sicht für den alten Henry James spricht, findet unser Hund: ein hübsches, schattiges Plätzchen mit den verwitterten, liebevoll beschrifteten Grabsteinen seiner vierbeinigen Lieblinge. Wir kaufen natürlich im Haus einen Roman, und der ehrenamtliche ältere Herr, der das Geld entgegennimmt, erklärt sich augenzwinkernd bereit, das Taschenbuch mit „James“ zu signieren, um seinen Wert zu steigern. Sein ehrenamtliches Pendant, eine Siebzigerin, die das Wechselgeld verwaltet, versichert: »And it is really easy to read. Took me only one evening.« Die Engländer sind herrlich.

Mit Rye hatten wir auch schon die nächste Grafschaft erreicht, East Sussex. Es wird Abend und Zeit, einen Campingplatz aufzusuchen. Der soll wieder an der Küste sein. Auf dem Weg dorthin schenken wir uns Brighton bzw. fahren drumherum. Einen Platz direkt am Meer (fast zumindest, es ist noch eine Düne dazwischen) finden wir in Norman's Bay direkt bei Pevensey Bay. Wir werden noch schnell Mitglied im "Camping & Caravaning Club", weil das Rabatt verspricht. Da wir einen Hund dabeihaben und weite Teile der englischen Bevölkerung ausgesprochene Hundenarren sind, wie sich herausstellt, lernen wir schnell einheimische Camper kennen. So heute abend Joan, eine Londonerin, die im Wohnmobil mit zwei uralten, kranken Hunden und ihrem dementen Ehemann gutgelaunt durch England reist. Wir staunen.






3. Tag

Am darauffolgenden Morgen geht es dann über Wilmington, das für seinen "Long Man" bekannt ist, nach Alfriston. Ein typisch englisches Marktfleckchen mit uralten Pubs, kleinen, windschiefen Häusern und überbordenden Gärten. Die Kirche steht etwas abseits auf dem village green, einer großen, natürlich sehr gepflegten Rasenfläche. Solche Plätze gibt es in England fast in jedem Dorf, ihr Betreten ist durchaus nicht verboten, ganz im Gegenteil, hier werden ausgedehnte Picknicks abgehalten oder - wie in Alfriston an diesem Tag - ein mittelalterlicher Markt aufgebaut. Dem Treiben schauen wir noch etwas zu, trinken dann in einem der Pubs ein Glas Cider und fahren dann weiter nach Westen.

Ein Schriftstellerhaus - schon wieder? - will besichtigt werden, nämlich Monk's House in Rodmell, wo sich Virginia Woolf vom anstrengenden Londoner Leben erholte und in einer hübschen Gartenlaube der Weltliteratur diente. Aber: weder Laube noch Wohnstube der Dichterin sind uns zugänglich: sorry, closed today. Wir verfluchen unseren fehlerhaften Reiseführer und schwitzen; denn es ist heiß - ja, in England. Sehr heiß sogar. Da man um Monk’s House nicht mal herumlaufen kann und wir viel zu matt sind, um über die hohe Gartenmauer zu klettern, sagen wir uns: reicht ja auch mit all den zugesperrten Schriftstellerhäusern und -gärten, dazu fahren vernünftige Leute doch nicht in Urlaub. Setzen wir uns lieber irgendwo gemütlich in den Schatten und erholen uns!

In der Gegend, die unser Ziel für diesen Abend ist, sind laut Plan zwei schöne Campingplätze "unseres" Clubs, und wir sehen uns schon in Slindon unter alten Eichen ein Bierchen trinken. Leider aber finden wir Slindon nicht. Dafür geraten wir in einen endlosen Stau, und nach circa drei Stunden sind wir sehr gereizt, so daß wir ungerechterweise die arme Virginia Woolf und ihr Cottage dafür verantwortlich machen: hätten wir doch bloß nicht… wären wir doch lieber gleich… aber Du wolltest ja unbedingt…

Mittlerweile schwitzen wir noch mehr, und eine Tankstelle ist auch nicht in Sicht. Unruhe kommt auf, was uns zumindest wieder soweit belebt, daß wir die Campingplatzbeschreibung noch mal GANZ genau lesen: »Alle Schilder, die in Richtung Slindon zeigen, sind zu ignorieren«. Nachdem wir nun diese merkwürdige Anweisung strikt befolgen, taucht prompt eine Tankstelle auf, die Stimmung wird ausgelassen und tatsächlich finden wir ihn dann sofort, den geheimnisvollen Campingplatz von Slindon: mitten im dicksten Wald, wunderschön schattig und ruhig, gerade so, als wäre er nie weg gewesen. Wir entspannen uns. Als Fazit dieser anstrengenden Odyssee einigen wir uns aber darauf, vom ursprünglichen Plan abzugehen und weniger Etappen zu machen und schon gar keine Schriftstellerhäuser mehr zu besuchen.


4. und 5. Tag

Warum wir in Arundel das enorm trutzige Castle nicht besichtigen, obwohl es geöffnet ist, kann man nach dieser Lektüre vielleicht nachvollziehen. Eintrittspreise in England sind leider häufig astronomisch, was sich zum Teil daraus erklärt, daß diese Altertümer, Castles, Gärten und herrschaftlichen Anwesen ohne staatliche Subventionen auskommen müssen. Außerdem wird ein immenser konservatorischer Aufwand mit dem historischen Erbe betrieben; alles ist in sehr gutem Erhaltungszustand, äußerst gepflegt, und viele dienst- und hilfsbereite Geister finden dort Beschäftigung. Pflege und Betrieb der Sehenswürdigkeiten obliegen im wesentlichen zwei Institutionen, National Trust und English Heritage.

Arundel liegt am River Arun, von dem man uns nicht ohne Stolz sagt, es sei der zweitschnellste Fluß Englands, was wir aber weder nachprüfen noch durch die Aussage: »Und der zweitschnellste Fluß Deutschlands ist der … !« kommentieren, da wir nicht mal wissen, wer der allerschnellste deutsche Fluß ist. Wir kommen zu dem Schluß, hier einen kleinen kulturellen Unterschied entdeckt zu haben: Flußgeschwindigkeiten-Ranking gehört nicht zur bundesrepublikanischen Allgemeinbildung.

Anyway – auch ohne sonderliche Anstrengung kann man gemütlich und bequem am Arun entlangschlendern. Unser Hund fällt sogar hinein, aber gottlob haben wir ihn an der langen Leine und angeln ihn raus, bevor er von den zweitschnellsten englischen Fluten davongerissen wird.



Abends kehren wir dann zurück auf den geheimnisvollen Wald-Campingplatz. Außer uns sind dort nur eine Handvoll Engländer, und es ergeben sich bald nette Gespräche rund um die Themen „Hunde“ und „Schattenseiten und Absurditäten der Europäischen Union“. Eine Dame wundert sich besonders darüber, daß man in Brüssel den Krummheits-Grad von Bananen gesetzlich regeln will. Wir schimpfen auf den Euro, und die Engländer seufzen traurig, weil sie um ihr Pfund bangen. Wechselseitig bescheinigen wir uns, daß wir „normalen“ Menschen uns absolut einig sind, was die Weltwirtschaft und Großpolitik angeht. Einen Herrn, der einen wirklich riesengroßen altdeutschen Schäferhund dabeihat, fragen wir dann noch, wieviel das enorme Tier denn wiege. »Nine and a half stone!« Wieviel Kilos das sind? Da zucken alle die Achseln. Das metrische System hat sich noch nicht durchgesetzt.

Den nächsten Tag nutzen wir zu einer kleineren Wanderung. In Slindon Village (ein Dorf, verträumt, romantisch, wie aus einem Märchenfilm) bewundern wir einen bezaubernden Ententeich, während wir auf einem Bänkchen ausruhen, von dem ein Schild sagt: sponsert by Slindon pudding club.

Wir verbringen den Nachmittag damit, uns auszumalen, wie das so ist, als Mitglied in einem Pudding-Club …

Nach der dritten Nacht im geheimnisvollen Camping-Wald brechen wir in Richtung Salisbury auf.




6. Tag

Da es in und um Salisbury sehr viele historisch bedeutsame Sehenswürdigkeiten gibt (selbst an englischen Maßstäben gemessen), hatten wir für diesen Ort eigentlich drei Übernachtungen eingeplant, doch wir finden einen zwar funktionell einwandfreien, aber recht nüchternen Campingplatz vor. Weil wir mittlerweile an viel romantischere Wald-Standards gewöhnt sind, passen wir unsere Pläne wieder mal an und sagen: zwei Tage werden für Salisbury auch genügen, und dann wieder raus in die Natur.

Wir lieben die Engländer sehr, sonst kämen wir ja nicht schon zum x-ten Mal auf ihre wunderschöne Insel. Aber wenn sie immer so höflich-bescheiden sagen: "Ach je, wir Engländer sind sooo schrecklich faul und lernen niiiiie Fremdsprachen!" - dann ist das leider nicht immer als bloßes understatement abzutun. Sehen wir uns nur mal dieses Schild am Campingplatztor von Salisbury an:



Old Sarum, eine eisenzeitliche Siedlung und Vorgängerort von Salisbury, ragt wie ein riesiges Hügelgrab eindrucksvoll aus der grünen Ebene und ist von unserem Campingplatz praktischerweise nur durch eine große Wiese getrennt. Wir stapfen hin …

Salisbury enttäuscht uns zunächst ein wenig. Das mag zum Teil daran liegen, daß der Fußweg vom Campingplatz in die Innenstadt nicht gerade durch die schönsten Gebiete der Stadt führt. Zum anderen auch daran, daß kaum verkehrsberuhigte Zonen vorhanden sind - lediglich um das Gebiet der Kathedrale ist der Verkehr eingeschränkt. Ein deutsches Fernsehteam ist gerade dabei, eine Folge Rosamunde Pilcher zu drehen. Wir würden zu gerne gefilmt werden, aber man ignoriert uns, obwohl wir - genau wie die Hauptdarsteller – typische englische Strohhüte aufhaben. Schade.



Die Kathedrale von Salisbury ist - wie alle größeren englischen Kathedralen – riesig, steinig, erhaben, altersdunkel, imposant, ehrfurchtgebietend, steil, historisch, himmelstürmend, touristenumwogt und nicht umsonst zu besichtigen. (Man muß hier eine freiwillige Spende spenden). Das ist aber berechtigt, denn dort liegt ein Exemplar der hochberühmten Magna Charta. Bernd, der die Charta aufsucht, während Kirsten draußen mit dem Hund spielt, urteilt anschließend: "Kleines, altes Papier, kleine, alte Buchstaben."


7. Tag

Der darauffolgende Tag ist zuerst Stonehenge gewidmet.

Es ist: alt, steinalt, urtümlich, beeindruckend, rabenumflattert, weithin sichtbar und wird von zwei Schnellstraßen umarmt. Heutzutage ist es von Magie und Mystik weitgehend entkleidet. Darüber können nicht einmal die drei Druiden in Straßenkleidung hinwegtäuschen, die in murmelndem Gebet versunken zu Füßen des steinzeitlichen Sonnentempels meditieren und so mit spirituellem Trotz die Gegenwart ausblenden. Es ist früh am Morgen, und wir haben es tatsächlich geschafft, vor dem ersten Reisebus die großen stehenden Steine einmal zu umrunden. Immerhin. Wir verkneifen uns noch, im Andenkenlädchen Stonehenge als Bastelbogen zu kaufen, und dann fahren wir weiter.

Ein wichtiger Bestandteil des Englands ist dessen Adel, besonders Hochadel; wir besichtigen daher Wilton House, Heim der Pembrokes. Die Pembrokes sind Earls und im ganzen Haus verteilt: die alten in Öl, die jetztzeitlichen auf Photographien, dann am liebsten zusammen mit wichtigen Mitgliedern des Königshauses. Wirklich sehenswert ist eine Kunstsammlung mit einer Reihe von bedeutenden repräsentativen Gemälden Van Dykes und, was uns besonders gefällt, dem rührend persönlichen Portrait von Rembrandts alter, runzliger Mutter mit Lesebrille und Hausbibel. Im „Rauchzimmer“ hängen knallbunte Miniaturen der Dressurreitkunst, die uns wie Cartoons vorkommen, im 18. Jh. aber durchaus ernst gemeint waren. Im Souterrain finden wir in einer Vitrine ein bös zerknautschtes Paar Männerlackschuhe, circa Größe 36 – von Fred Astaire für seinen Freund, „Dear Pembroke…“, wie ein beiliegender Brief behauptet. Im Gift-Shop (immer unbedingt empfehlenswert) erstehen wir Literatur und Likör.


8. Tag

Noch englischer als der Adel ist die berühmte Countryside, durch die wir nun solange fahren, bis wir die Graftschaft Somerset erreicht haben. Das Sträßchen erklimmt die sanften Hänge der Mendip Hills und senkt sich wieder hinab in die fetten feuchten Wiesen, auf denen wechselweise Schafe und Kühe grasen. Die Stimmung ist pastoral, der Verkehr unmaßgeblich, wenn überhaupt, dann landwirtschaftlich, und so erreichen wir in ausgeglichener Verfassung unseren Zielort, das Dörfchen Priddy. Als Dorf eigentlich nicht erkennbar, entwickelt sich Priddy hinter Hecken und Gebüschen aus kleinen Haushaufen mit Mindestabstand von 300 Yards bei gleichzeitig erstaunlich hoher Versorgungsdichte gemütlicher Pubs. Wir speisen im „New Inn“ mit Blick auf die leere Dorfwiese – nichts geschieht, wir entspannen.


9. Tag

Wenige Meilen von Priddy entfernt liegt unser heutiges Ziel am Aus- oder Eingang (je nachdem) einer langgezogenen Felsschlucht, durch die kleine Trupps wilder Ziegen trippeln: Cheddar, eine kleine Ortschaft, bei uns eigentlich nur für würzigen Käse bekannt. Durch den Mangel an Gebirgen gilt Cheddar Gorge in England als landschaftliche Besonderheit (Voted into 3rd place of Britain's Finest Natural Wonders, 2005). Da in den Felsen auch diverse Höhlen gähnen, wird dieses Feld natürlich auch touristisch beackert. Wir wandern am frühen Morgen ein Stück die Flanke der Schlucht hinauf und haben von oben einen weiten Blick über die Felder von Somerset bis nach Glastonbury. Nach unserem Rückweg trippeln in der Cheddar Gorge mehr Touristen als Ziegen; aus Käse- und Souvenirläden dringen fröhlich lockende Stimmen, denen wir folgen.

Weston-Super-Mare, einen Badeort am Bristol Channel, besuchen wir, weil er einen so schönen Namen hat. Es ist ein wenig wie am Mittelmeer, weswegen vermutlich der Küstenstrich auch die „Somerset Riviera“ genannt wird. Für 3 Pfund kann man direkt auf dem breiten, gelben Strand parken. Wir setzen uns in den sehr warmen Sand, Finkl findet einen Ball, und wir essen Kekse. Es ist schön, aufs heiße Meer hinauszuschauen.

Unser letzter Halt für diesen Sommertag, Glastonbury, ist von mächtigen Patchouli-Düften und Cannabis-Wolken durchwogt. Diese längstvergessenen Aromen bezeugen das Überleben einer etwas in die Jahre gekommenen Hippie-Gemeinde, deren Mitglieder auf der Highstreet esoterische Läden betreiben oder Meditations-Zentren in den Seitengassen leiten. Das Städtchen, das von einer eisenzeitlichen HÜgelaufschÜttung Überragt wird, gilt als Standort der ersten christlichen Kirche Großbritanniens. Bereits aus neblig-dunkler Frühzeit ranken sich zahlreiche Legenden in die Gegenwart: es sollen hier die Zinnen von König Arthus’ Camelot in den frühmittelalterlichen Himmel geragt haben, des weiteren ist von einer berühmten Druidenschule sowie der sagenumwobenen Insel Avalon die Rede. So ließen heidnische Mythen und frühchristliche Überlieferungen Glastonbury schon im Mittelalter zu einem wichtigen Pilgerzentrum und geheimnisumwitterten Ort werden, der bis heute spirituell Suchende anzieht. Ein wiederkehrendes Musikfestival, vielleicht das berühmteste in England, tut sein Übriges zum Blumenkinder-Image Glastonburys. Ins Leben gerufen einen Tag nach Jimi Hedrix’ Tod zählte man 1970 1500 Besucher. Unter anderem spielte damals Marc Bolan (T.Rex) auf. Das Ticket kostete 1 Pfund „including free milk from the farm“. 35 Jahre später ist das Festival innerhalb von drei Stunden ausverkauft. 153.000 Besucher zahlen pro Ticket 125 Pfund (ohne Milch). Ein Großteil der Erlöse kommt gemeinnützigen Zwecken zugute.


10. Tag

Hat Batha (heiße Bäder, wie die Angelsachsen Bath nannten) ist vom wirklich günstig gelegenen Priddy in gemütlichen 40 Minuten über kleine Landsträßchen zu erreichen.

Schon die Kelten sollen die einzigen heißen Quellen Englands gekannt und ihrer Göttin „Sulis“ geweiht haben. Aber erst mit der römischen Besatzung (1. Hälfte, 1. Jahrhundert nach Chr.) begann der organisierte Thermalbadebetrieb. Pragmatisch, wie die Römer früher waren, übernahmen sie einfach den Namen der Göttin, bauten eine marmorne Schwimmhalle um das heiße Wasser und nannten das Ganze „Aquae Sulis“.

Die späteren angelsächsischen Eroberer ließen den Kurbetrieb buchstäblich versumpfen. Barbarenhäuptlinge! Seine glanzvollsten Tage sah Bath wohl im 18. Jahrhundert, als der Mode der Zeit entsprechend die feine Gesellschaft begann, das Städtchen zu einem mondänen Kurort zu machen. In der georgianischen Epoche entstanden auch die sehr großzügig und durchaus metropol wirkenden architektonischen Ensembles, wie der Royal Crescent, die bis heute das Stadtbild prägen. Parkpromenaden, morgendliche Trinkkuren im „Pump Room“, Kaffeeklatsch und abendliche Bälle gehörten zu den Vergnügungen, die Jane Austen oder Charles Dickens besser beschreiben als wir. Beide sind (als studentische Kostümierungen / kostümierte Kopien) * anwesend, als wir von all diesen geschichtlichen Details völlig unbehelligt im Restaurant des „Pump Room“ köstlich speisen.

* Hier finden die Autoren zu keinem Kompromiß


11. Tag

Wells, sehr hübsches kleines Städtchen, das den unvorbereiteten Flaneur in Erstaunen versetzt, indem es plötzlich in seiner Mitte eine gigantische Kathedrale aufweist. Angeblich - und wir zweifeln das nicht an - "England's smallest city". Wir besuchen Wells mehrmals und finden sein historisches Stadtbild mit seinen kleinen Geschäften und schönen Lokalen und Plätzen immer sehr einladend; die Stimmung ist unaufgeregt und gemütlich, keine Touristenschwärme. Die schattigen Rasenflächen rund um den mittelalterlichen Bischofspalast mit seinen tiefen Wassergräben werden von Marktbesuchern, Pärchen und Familien ganz zwanglos zum samstäglichen Picknick genutzt. Auf der ausgedehnten Freifläche rund um die Kathedrale findet ein Charity-Flohmarkt statt, wobei neben dem üblichen Angebot an unvollständigen Teeservicen, Kaminbestecken und Messingspucknäpfen die Hausfrauen von Somerset selbstgemachte Torten und Kuchen präsentieren. Die Kuchen sind so schön, daß uns nur die Schlußfolgerung bleibt, es müsse sich um einen Gebäckwettbewerb handeln. Wir wundern uns ein klein wenig über den Stand der Athrosegesellschaft, an dem Senioren und Seniorinnen eine erkleckliche Batterie von Spirituosen (überbleibsel aus privaten Beständen?) unter der heißen Sonne aufgebaut haben, und lächelnd zum Verkauf anbieten.

Ein beleibter rotwangiger Herr mit pelzverbrämtem Mantel, Dreispitz und schwerer goldener Amstkette, eine Musikgruppe mit Flöten, Trommeln und Pfeifen, weitere Würdenträger und dann: Kinder, Kinder, Kinder. Ein gewaltiger bunter Heerwurm schlängelt sich durch die engen Gäßchen. Hinter jedem Headmaster oder jeder Headmistress - um nichts anderes handelt es sich bei den Dreispitzträgern - die Mädchen und Jungen einer Grundschule aus Somerset. Aberhunderte Kinder freuen sich so sichtbar, hüpfen so enthusiastisch hinter ihrem jeweiligen Schulbanner her, daß wir finden, das ist der schönste Umzug, den wir je gesehen haben.


12. Tag



Priddy, Priddy, Priddy


13. Tag

Wir machen einen Abstecher an die schöne für ihre geologischen Versteinerungen bekannte Steilküste Dorsets. Oberhalb des Badeorts Swanage, wo wir übernachten, verläuft ein Stück des "South West Coast Path" auf den unbefestigten Klippen entlang. Die Ausblicke, die man von dort oben auf die Bucht von Swanange mit den weißen Felsen im Hintergrund und über das Meer hat, machen unseren kleinen Spaziergang zu einem unvergeßlichen Naturerlebnis.